Wasserfestschrift 2017
45 Wasser ist Leben | Schnaps. „Prost!“, sagt Herr Roggenkamp. Ich setze mein Gläschen an, werfe den Kopf wie alle anderen kurz in den Nacken, um der „Wasserprobe“ freie Fahrt zu geben. Als meine Geschmacksnerven die Befeuchtung registrieren und weiter signalisieren, bleibt mir der Rest fast im Halse stecken. Das ist ja gar kein Korn! Es schmeckt etwas nach faulen Eiern (wegen des Schwefelwasserstoffs) und nach Tinte (wegen des gelösten Eisens)! Die Eingeweihten tauschen fragende Blicke aus. Hat da vielleicht jemand …? Die Geladenen begutachten das Rohwasser und denken wohl mit etwas gemischten Gefühlen an die Umstellung auf Grundwasserversorgung. Einer glaubt auch einen Schnapsgeschmack festgestellt zu haben, andere bestreiten das. „Vielleicht war ja früher einmal Schnaps in der Flasche”, wird geäußert. Wie recht man damit hat! Keiner verlangt einen Nach- schlag. Wasser ist eben nicht gefragt! Es bilden sich kleine Gruppen, in denen über das neue Werk diskutiert wird. Äußerlich waren wir in jenem Augenblick alle ruhig geblieben. Keiner der Gäste sollte etwas von der Panne merken. Doch wo aber war der Schnaps geblieben? Erst als wir wieder allein sind, stürzen die Fragen auf mich ein. Ich hatte die Flasche besorgt und in den Brunnen gehängt; also war ich als Erster stark verdächtig. Obwohl ich wirklich nüchtern wirkte, wollte Herr Wittfoth mir eine Blutprobe entnehmen lassen. „Geben Sie es doch zu, Sie haben die Flasche mit Ihren Mitar- beitern vorher ausgetrunken”, sagte er immer wieder. Auch mein unschuldigstes Gesicht befreit mich nicht von diesem Verdacht. Ich wiederum schiele auf andere, aber angeheitert wirkte niemand. Herr Wittfoth blieb dabei, dass ich für den verschwundenen Schnaps verantwortlich zu machen sei. Um diese ungeheuerliche Beschuldigung zu entkräften, müssen wir also beweisen, wo der edle Tropfen wirklich abgeblieben war. Die erste Spur ist der fehlende Verschluss beim Auf- tauchen der Flasche. Der Deckel hat sich wohl beim Herablassen gegen das straffe Band abgedreht. Aber die Buddel hing doch senkrecht?! Konnte denn dabei der Schnaps ausgelaufen sein? Der Laborversuch beweist es durchschlagend! Wir senken vorsichtig ein nicht verschlossenes, mit Weinbrand gefülltes Medizinfläschchen in ein großes Glas mit Wasser. Als der Flaschenhals unter die Wasserober- fläche taucht, schießt explosionsartig eine bräunliche Wolke empor und in weniger als 10 Sekunden ist in dem Fläschchen nur noch klares Wasser. Der Weinbrand schwimmt in einer dünnen Schicht im Becherglas. Das ist der Beweis meiner Unschuld! Der Schnaps ist also im Brunnen. Ganz Schlaue warten heute schon auf die Inbetriebnahme des neuen Wasserwerks, um gratis aus ihrem Wasserhahn einen Schnaps zu bekommen. Mit Fläschchen, Becherglas und einem Rest Weinbrand melde ich mich etwas später im Vorzimmer von Herrn Wittfoth. Er hat aber – wie so oft – keine Zeit. Berichten darf ich ihm jedoch. Wenn auch noch oftmals über die „Wasserprobe” gelacht werden wird, so hoffe ich doch, dass Herr Wittfoth mich heute nicht mehr öffentlich beschuldigt, den Schnaps allein getrunken zu haben.
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