Wasserfestschrift 2017
22 | WASSER IST NATUR DIE HAMBURGER CHOLERAEPIDEMIE – UND DAS NEUE HYGIENEBEWUSSTSEIN Um die Jahrhundertwende wird das Lübecker Trink- wasser aus der Wakenitz gewonnen. Dieses sogenannte Oberflächenwasser ist ganz anderen Einflüssen und Verschmutzungen ausgesetzt als unser heutiges Grund- wasser und es muss in aufwändigen Verfahren zu Trinkwasser aufbereitet werden. Vor dem Hintergrund der verheerenden Hamburger Choleraepidemie von 1892 verändert sich das Hygiene- bewusstsein in der Öffentlichkeit. Dazu trägt nicht zuletzt auch der Besuch von Robert Koch (1843 bis 1910) an der Elbe bei. Der in Berlin lebende Begründer der modernen Bakteriologie und Mikrobiologie und Entdecker des Choleraerregers (1883) ist eine anerkannte Autorität. Am 24. August 1892 trifft er in Hamburg ein, um sich ein Bild der Lage zu machen. An das Kaiserliche Gesund- heitsamt in Berlin berichtet er: „Ich habe noch nie solche ungesunden Wohnungen, Pesthöhlen und Brut- stätten für jeden Ansteckungskeim angetroffen wie in den sogenannten Gängevierteln, die man mir gezeigt hat, am Hafen, an der Steinstraße, in der Spitalerstraße oder an der Niedernstraße … Meine Herren, ich vergesse, dass ich in Europa bin.“ Nachdem Robert Koch das Hamburger Trinkwasser als „verpestet“ bezeichnet, wird die Bevölkerung durch Plakate vor dem Genuss von ungekochtem Leitungswasser gewarnt. Auch zum Reinigen von Ess- und Trinkgeschirr soll nur abgekochtes Wasser verwendet werden. Durch die Stadt fahren Fasswagen und verteilen gratis abgekoch- tes Wasser. Nach 10 Wochen enden die Todesfälle, bis die Stadt am 16. November 1892 amtlich für seuchenfrei erklärt wird. Von den 640.000 Einwohnern Hamburgs haben sich 16.956 Menschen infiziert, über die Hälfte von ihnen, 8.605, findet den Tod. Wie die Bürger in anderen Städten des Reichs sind auch die Lübecker durch die Ereignisse in Hamburg sensi- bilisiert. Als sich die Rohwasserqualität in Lübeck verschlechtert, wird nach Lösungen gesucht. Die Verant- wortlichen kommen überein, dass bisher nur stich- probenartig durchgeführte Untersuchungen fortan stetig und regelmäßig stattfinden sollen. Und so wird ein betriebseigenes Wasserlabor auf dem Gelände der Wasserkunst eingerichtet. Am 1. September 1900 nimmt es seine Arbeit auf und führt mikrobiologische (bakteriologische) Unter- suchungen durch – wie zum Beispiel die „Bestimmung der Koloniezahl bei 22 und 36 Grad Celsius“, eine Standarduntersuchung in der Mikrobiologie des Trinkwassers, die Robert Koch entwickelt hat und die bis heute Anwendung findet. Noch wichtiger aber ist die mikrobiologische Untersuchung auf coliforme Keime, zu denen auch Escherichia coli gehört. Sie stellt sicher, dass keine Darmbakterien oder sogenannte Pfützenkeime im Trinkwasser sind. Dazu kann es gegebenenfalls durch Undichtigkeiten im Rohrnetz kommen oder auch bei Rohrnetzarbeiten. Das Betriebs- wasserlabor ist also wachsam. Und – es wendet Methoden an, die eine zuverlässige Aussage bereits nach 19 Stunden Bebrütungszeit ermöglichen. 1. September 1900 Gründung des Betriebslabors der Wasserversorgung für zunächst nur bakteriologische Untersuchungen auf dem Gelände der Wasserkunst
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